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AutorenbildDennis @Feeling Grape

Warum Naturwein die Weincommunity spaltet

Aktualisiert: 21. Feb. 2023

Ich bin gestern über ein Meme gestolpert. Johannes Schellhorn von der Freundschaft in Berlin hatte die Tage einen Repost vom Instagram-Account Coolwinekidzonly geteilt, der mich a) zum Lachen und b) ein bisschen zum Nachdenken gebracht hat.

Was sind "zero zero Zealots" mag der ein oder andere fragen? Zealot = religiöser Eiferer und zero zero bezieht sich auf den Naturweintrend der möglichst interventionsfreien Weinherstellung.

Interventionsfrei bedeutet hier vor allem: Verzicht auf Schwefelung. Üblicherweise werden Weine geschwefelt, da SO2 ziemlich robust die (Fehl-)Oxidation von Weinen verhindert. Macht man das nicht, so bekommen viele Weine gerne animalische, wilde und krautige Aromen.

Achtung! Chemieexkurs: Dazu muss man verstehen, dass alkoholische Gärung ein anoxischer Prozess ist, also ein chemischer Vorgang in der Abwesenheit von Sauerstoff. Hefen sind so genannte fakultative Anaerobier. Das heißt, sie können sowohl mit Sauerstoff (dann entstehen Bubbles, wie im Hefeteig) oder ohne Sauerstoff (dann entsteht Alkohol). Hefen sind aber nicht die einzigen Stoffwechselteilnehmer. Acetobacter arbeiten in einer unvollständigen Oxidation aerob und produzieren so Essig. Lässt man den Wein also mit Sauerstoff in Verbindung treten, ohne die mikrobielle Struktur etwa durch SO2 zu kontrollieren, so bekommt man gerne Gärtöne aus anderen Prozessen als nur der alkoholischen Gärung.


Das kann charmant sein, beendet aber auch gleichzeitig jeden Gedanken an Rebsortentypizität. Viele primären Fruchtaromen (also die Aromen, die aus der Gärung der Traube stammen) werden dann überlagert von Aromen, die viele als unangenehm empfinden. So kommen zum Beispiel Mäuseltöne (wie Mäuseurin, beim Ausräumen des Gartenschuppens), wilde Grastöne (literally Weed) oder Essiganflüge (VA sagt der Jargon dazu: volatile acidity)


Trotzdem - oder gar deswegen - ist Naturwein eben gerade der heiße shit. Weil es anders ist, weil es spannend sein kann und weil einige Leute "Natur" mit "gut/gesund" gleichsetzen. Aber was ist Natur? Was ist gesund? Es gibt eigentlich keine unmittelbar gesunden und ungesunden Lebensmittel, denn am Ende macht immer die Dosis das Gift. Es gibt nur gesunde und ungesunde Ernährungsweisen und Lebensstile. Ein gesunder Organismus verkraftet ganz nebenbei auch 2 Döner und 5 Bier am Wochenende. Auf der anderen Seite stellt eine einzelne Biokarotte im Körper auch nichts „Gutes“ an. Oder wie Julien Walther schrieb: "Das ganze Thema klingt nach Klein gegen Groß, Handwerk gegen Konzern, Schürfwunde gegen Allergie, Heilpraktiker gegen Arzt, Blumenwiese gegen Monokultur. Der ideologische Überbau einer heilen Welt ist vor allem auch deshalb zynisch, weil auch Naturwein sich hinter der größten (und einzigen) gesundheitlichen Gefahr, die von Wein ausgeht, genauso so wenig freisprechen kann, wie herkömmlicher Wein: dem Alkohol. Auch der Inhalt einer Flasche Naturwein besteht immerhin aus einer ungefähr vier Zentimeter hohen Schicht Ethanol."


Natur ist zudem ein absolut wertfreier, sinnloser Begriff. Krebs ist Natur. Arsen ist Natur. Covid ist Natur. Das sagt so für sich nichts aus. Und da selbst die größten Esoteriker mindestens mit Kupfersulfat spritzen, ist spätestens da das Thema „Natur“ erledigt.


Ich persönlich kann ab und zu einen Natural wine gut trinken. Dann finde ich das spannend. Wenn ich aber in Kopenhagen oder Berlin den 10. „Natty“ vorgesetzt bekomme und Menschen - erkennbar ohne weitere Anforderungen an den Wein - neben mir im Weinhandel sehr selbstverliebt nach „möglichst ungeschwefelten Weinen“ fragen, dann nervt mich das. Die Dosis macht auch hier das Gift und es kommt eben ganz darauf an. Sowohl die Oldschool-Front als auch die Zero-Zero Zealots merken vor lauter Debatte über die Machart scheinbar gar nicht, wie wenig Augenmerk sie noch der Qualität und Intensität schenken.

So wie bei diesem fantastisch spannenden Natural Sancerre von der Domaine Sebastian Riffault im Sélune in Paris.


Der Wein duftet nach Gras, Marijuana (yes, really) und Passionsfrucht. Er hat durch seine hohe Säure kräftig Zug am Gaumen, ist aufgrund des offensichtlich vorhandenen kurzen Schalenkontaktes aber nicht super schlank und weist dabei immer diesen superwilden, freshen Charakter auf. Es tänzelt in der Nase an der Grenze zum Weinfehler. Mir fällt total schwer ihn zu bewerten und ich gebe ihm auch “nur“ sehr gute 86/100. Zur Artischocke mit Ziegenkäse war er allerdings ein Volltreffer.


Für mich ist das ein toller Wein. Es ist auch schon ein paar Wochen her, dass ich ihn im Glas hatte. Selten konnte ich mir einen Wein aber so gut einprägen. Schade, dass sich die Weinwelt darüber zu streiten vermag…


PS: meine Freundin fand ihn ganz ohne Interesse in die Machart ziemlich furchtbar - es ist halt polarisierender Stoff










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